Seit 30 Jahren stellt das Ehepaar Obert in Schutterwald frühmorgens die Zeitungen zu. Die liebgewonnene Tätigkeit endet mit dem gemeinsamen Frühstück mit frischen Brötchen.
VON BETTINA KÜHNE
Offenburg. Individuelle Wünsche sind für das Ehepaar Hubert und Christa Obert gar kein Problem: Seit jeweils 30 Jahren stellen sie in Schutterwald gemeinsam die Zeitung zu – und wer sein Exemplar lieber am Küchenfenster, unter der Tür oder im Fahrradkörbchen in Empfang nehmen will, bekommt dieses Extra selbstverständlich.
In insgesamt drei Revieren trägt das rüstige Ehepaar inzwischen die Zeitung aus. Diese sind kleiner geworden, damit sich leichter Urlaubsvertretungen finden lassen. Ihre Route haben die beiden so ausgetüftelt, dass sie sich in der Hälfte treffen. Als erste steht Christa Obert kurz vor vier Uhr morgens auf, richtet sich und weckt dann, bevor sie das Haus verlässt, ihren Mann. „Ich nehme das Fahrrad, deshalb bin ich schneller“, sagt sie. Ihr Mann ist mit einem umgebauten Kinderwagen unterwegs. „Es ist der zweite, der erste ist irgendwann kaputt gegangen“, sagt er zum Zustellwagen Marke Eigenbau: Unten ist die wasserdichte, blaue Satteltasche der MPZ (Mittelbadische Presse Zustellservice GmbH & Co. KG) montiert, oben ein weiteres Körbchen, mit dem die Zustellung schnell klappt. Auch das zweite Gefährt hat Hubert Obert so aufgebaut. Vor Pannen ist es freilich nicht geschützt. „Weil das Zeitungspapier so einiges auf die Waage
bringt, sind die Räder oder Speichen anfällig“, berichtet er, dass kürzlich ein Reifen defekt war. Weil derzeit alles geschlossen hat, wurde übers Internet schnell Ersatz bestellt. Er versucht nun, die Exemplare portionsweise mitzunehmen: „Unsere Zustellbezirke liegen um das Wohnhaus herum – da können wir dann leicht zurück, um nachzuladen.“
Der Wecker klingelt früh
Gegen halb sechs sind die beiden meist mit der Tour fertig, zu Hause trifft man sich dann zum Zeitungslesen. „Da freue ich mich schon die ganze Zeit drauf“, sagt Christa Obert. „Sie liest viel gründlicher als ich“, sagt er, der deshalb konsequenterweise den Anfang macht und dann die Seiten weiterreicht. Dazu gibt es einen Joghurt. Die frischen Brötchen, die Christa Obert auf dem Rückweg holt, gibt es erst später, so gegen 8 oder halb neun. Inzwischen haben sie Zeit, sich bis dahin noch ein bisschen auszuruhen. Früher hat sie die Kinder versorgt und er sich auf den Weg zur Arbeit gemacht, fünf Jahre davon nach Freiburg.
Wenn‘s draußen „Sauwetter“ hat, gibt‘s auch erst mal eine heiße Dusche. Mieses Wetter sei rasch vergessen, „man achtet vor allem darauf, dass die Zeitungen trocken bleiben“. Doch manchmal sei man chancenlos, erinnert sich Obert an eine Nacht mit Schneeregen und Sturmböen. „Da hat es mir 20 Zeitungen aus der Tasche herausgeweht – ich hätte nicht gewusst, welchem Papierstück ich als erstes hinterherrennen soll“, erinnert er sich. Die Zeitungen waren verloren.
„Der Sturm hat 20 Zeitungen mitgenommen – ich wusste nicht, welcher ich hinterherrennen soll.“
Christa Obert,
Zustellerin
Wenn ihr Exemplar fehlt, rufen die Abonnenten schon mal direkt bei den Oberts an. „Eine Zeitlang war ich ratlos, weil es immer bei der Bushaltestelle war – und ich war mir ganz sicher, dass ich die Exemplare zugestellt hatte“, sagt Christa Obert. Jetzt hat sie die Abladestelle geändert, und siehe da: „Seitdem ist nichts mehr verschwunden.“ Lustig war, als eine Dame den Maifeiertag verpasst hat: Sie hat ihre Zeitung als vermisst gemeldet und sagte, sie wolle sie noch lesen, bevor sie zum Arzttermin müsse. „Das Missverständnis hatte sich rasch aufgeklärt und die Frau war froh, dass sie nicht umsonst in die Stadt gefahren ist“, berichtet die Zustellerin.
Sie schätzt neben der Ruhe und der freien Hand, die sie bei der Arbeit hat, auch die kurzen Plaudereien: „Durch Corona sind natürlich weniger Menschen unterwegs, aber normalerweise spricht man kurz, wenn man sich nachts trifft“, sagt sie. Angst habe sie noch nie gehabt. Die Nacht sei schon sehr still: „Selbst wenn eine Katze ums Eck schleicht, kann man die Samtpfote hören“, sagt ihr Mann.
Respekt haben die beiden eher vor Hunden. „Einer hat gelernt, das Tor aufzumachen, und spurtete mir entgegen“, erinnert sich die Mutter zweier Söhne. Ihr Mann hat einmal den damals achtjährigen Sohn dabei, der unbedingt das nächtliche Abenteuer miterleben wollte. Das kam in Form eines Schäferhundes auf das Vater- Sohn-Duo zu. Schnell hat Hubert Obert den Sohnemann hinter sich in Deckung gebracht und überlegt, wie er das Kind in Sicherheit bringen kann: „Da hat der Hund zum Glück wieder abgedreht!“ Auf die Idee gekommen, Zeitungen auszutragen, ist die gelernte Industriekauffrau nach dem Tod ihrer pflegebedürftigen Eltern. Der Zusteller des Nachbargebiets wurde als „Springer“ eingesetzt, seine Frau ängstigte sich alleine. Für Christa Obert war es der ideale Job und der passende Zeitpunkt: „Auch der jüngste Sohn war inzwischen im Kindergarten.“ Schon kurze Zeit später suchte die Gemeinde händeringend einen Mesner. Das Zustellen, gerade erst begonnen, wollte sie nicht aufgeben. Allerdings fühlte sich die langjährige Schriftführerin des Schutterwälder Kirchenchors und Mutter eines Ministranten auch ihrer Kirche verbunden. Da hat sich ihr Mann erboten, ihr beim Zustellen zu helfen. „Und das, obwohl er eigentlich kein Frühaufsteher ist“, rechnet sie ihm seine Unterstützung hoch an.
„Beim Zeitungaustragen freue ich mich schon die ganze Zeit darauf, nachher selbst die Zeitung zu lesen.„
Hubert Obert,
Zusteller
Schließlich ist auch Hubert Obert im Gesangverein aktiv, wo er seit Jahrzehnten dem Vorstandsteam angehört. Freizeitaktivitäten lassen sich bequem mit dem Zustellerdienst vereinbaren, sind sich beide einig. Als im Ort noch „Schutterwald bei Nacht“ gefeiert wurde, sind sie gerne auf die Fasent gegangen. „Wenn wir nach Hause kamen, haben wir gleich noch zugestellt“, lachen die beiden.
Manchmal werden sie gefragt, ob sie wirklich immer noch Zeitungen zustellen. „Ich habe zwei neue Knie“, fühlt sich der 74-Jährige fit. Und seine Frau (70) sagt: „Wenn man mit Ärzten ins Gespräch kommt, raten sie immer zu, die Aufgabe so lange es geht weiterzumachen.“ Ihr Mann, mit dem sie im kommenden Jahr goldene Hochzeit feiert, nickt: „Ich sage immer: Das ist eine bezahlte Fitnessstunde an der frischen Luft.“ Zumal jetzt, wo das Studio in Schutterwald geschlossen hat und die Radtouren ohne Ziel nur halb so viel Spaß machen.
Foto: Ulrich Marx